» Das Lurch-Tagebuch II - 2. Woche

Sonntag, 23. Januar. Schon um 13.30 Uhr MEZ ist das niederschmetternde Ergebnis der 1. Herren im Netz. Danke für SMS und Anruf, ich weiß es schon. Aus dienstlichem Interesse schaue ich mir die „Terra X“-Folge über Herrn Diesel an. Nett gemacht. Ich mache mich fertig für eine Fahrt ins Palisade Center, ein Einkaufszentrum auf der grünen Wiese (momentan weiß), wogegen die Schloss-Arkaden ein Tante Emma Laden sind. Eine Levis 501 für 21 Dollar. Sonderangebot. Schnapp. Was ist denn das in meiner Jacke? Nasentropfen. Durch alle Flughafenkontrollen hindurch unentdeckt geblieben. Schnief. Abends dann alle verpassten Folgen von Frühstück bei Stefanie („da guckste Ahlers, wa?“) und dann der neue „Nachtschicht“-Krimi. Neue Woche, kannst kommen.

Montag, 24. Januar. Der Weg ins Büro wird einfacher. Ich habe der Navi-Dame per Tastendruck befohlen, deutsch mit mir zu reden. Schwupp, schon gibt sie bereitwillig Entfernungen bis zu erforderlichen Abbiegemanövern in Metern an - und nicht mehr in diesen komischen anderen Einheiten. So wird die Fahrt zum Fahrvergnügen. Dieser Begriff, der noch heute den Amerikanern bekannt ist - im Gegensatz zu vielen deutschen Landsmännern (und -Frauen) - war über viele Jahre hier der Markenspruch meines Arbeitgebers. Mittlerweile heißt es „Volkswagen. Das Driving Event.“ Nun ja.

Mittags in der Kantine gibt es mal wieder einen richtig miesen Burger. Doch etwas ganz anderes hebt meine Stimmung: eine Elfe! Jawohl, verschwunden das Bild fettleibiger Menschen mit McDonalds-Produkten in der Hand. Sie unterhält sich mit so´m komischen Typen und entschwindet mit einem Lächeln so schnell, wie sie mir erschien. Sehnsuchtsgefühl. Bleib doch. Aber nein, nur ich und mein schwer genießbarer Burger. Seufz.

Abends kommt Leben in die Bude. Mein Kollege aus Deutschland betritt die Residenz und muss erstmal Einkaufen. Gute Idee, bin dabei. Wohin? Da gäbe es so einen Supermarkt. Der wäre gut. In mir kommt ein Verdacht auf, dass es sich um das Etablissement vom Donnerstag handelt. Er bestätigt sich. Als Belohnung gönne ich mir im Anschluss gleichnamigen Film aus der ZDF-Mediathek, während der Kollege in Jetlag-Träumen liegt.

Dienstag, 25. Januar. 750 Jahre Frühstücksradio. Legendär ist unter anderem diese eine Musketierfolge (da gibt es auch Praktikanten). „Heute: Im Moor. - Blubb. - Das war: Die drei Musketiere.“ Ein Klassiker. Wie übrigens auch das Autogramm mit persönlicher Widmung von dem aus Peine stammenden Oliver Kalkofe, dem beim Signieren ein begeistertes Grinsen bei der gewünschten Widmung übers Gesicht gehuscht sein soll. Herrlich, ein Absatz voller Anspielungen, die nur wirklich sehr wenige Menschen verstehen dürften. Spaß muss sein (Roberto Blanco, 1972).

Abends geht es mit dem Kollegen in ein lokales Steakhouse. Bud aus der Flasche. Gluck.

Mittwoch, 26. Januar. Kaffee in Plastikbechern und Schnabeldeckel drauf ist dank in Deutschland expandierendem Starbucks ein durchaus bekanntes Bild. In Amerika wird aber auch im Büro so getrunken. Ich versuch´s mit Tee statt Kaffee. War schließlich tags zuvor keine Schlagerparade im Schwanensee. Das Aroma kann sich dank des Deckels natürlich überhaupt nicht entfalten und bei der Einnahme den Weg über die Atemwege in das zentrale Riechorgan finden. Trinkbanausen, der Deckel fliegt im hohen Bogen in den Papierkorb. Erst am späten Nachmittag finde ich heraus, dass neben  der Standard-Auslagware (Kaffe und Tee in Alu-Päckchen) ein Karton mit Lipton-Kraut liegt. Genuss hat jetzt wieder einen Namen.

Abends geht es in New York noch in ein Restaurant. Unser Multilinguist winkt ein schwarzes Cab heran und handelt im Vorfeld einen Preis aus - wie sich das gehört. Das Ergebnis ist eine komplette Stadtrundfahrt für läppische 20 $, weil der Fahrer weder über Ortskenntnis noch über ein Navigationssystem verfügt. Mais oui.
 

Donnerstag, 27. Januar. Heute ein bisschen früher aufstehen und schon mal packen. Der Hitradio Antenne Schlagerstream spult gerade den Udo-Klassiker „Ich war noch niemals in New York“ herunter. Na hossa. Und huch, genau dieser Gassenhauer folgt. So kann man auch Müdigkeit vertreiben.

Es hat geschneit. Und wie: 30-40 cm Schnee fiel in den Nachstunden vom Himmel. Motorhaubenhohe Schneewände an den Straßen formen Halbtunnel, in denen man sich vorwärts bewegen muss. Aus dem Internet erfährt man, dass alle Flughäfen von New York gesperrt sind. Gute Voraussetzungen, um am Abend die Heimreise anzutreten. Am Nachmittag wird es dann doch ein wenig hektisch: Schon am Vorabend durften viele Maschinen aus Europa gar nicht starten, so dass logischerweise nur einige Metallvögel hier vor Ort sind. Mein Flug scheint sicher. Aber der meines Kollegen nicht. Das Flugzeug ist nicht da, er muss jetzt zwei Stunden früher fliegen, hat noch nicht gepackt, Fahrservice abbestellen, Rund-um-die-Uhr-Nummern anrufen, bestätigen, ablehnen, herrjeh.

Aber zumindest die Straßen und Gehwege sind schnell wieder frei. Spätestens jetzt wird klar, warum die deutschen Kommunen permanent Salzknappheit beklagen. Das ist alles hier. Und wird Kübelweise auf Asphalt und Betonplatten gekippt.

Abends sitze ich relativ entspannt in der Flughafen-Lounge und versende an ausgewählte Personen einen  kurzen Fluggruß. Mit dem Hinweis auf ein Gläschen feinen hellen Traubensaftes aus Italien neben mir. Erst beim Zusammenklappen des Klapprechners wird mir klar, dass die Hälfte der Empfänger ein großartiges Wortspiel gar nicht verstehen dürfte, weil sie den Spitznamen des hochverehrten italienischen Werkstattkollegen aus dem EMV-Zentrum gar nicht kennen können. Dumm gelaufen, muss ich mir eben den Vorwurf mangelhafter Rechtschreibkenntnisse gefallen lassen.

Freitag, 28. Januar. Ja, wann hat dieser Tag denn begonnen? Keine Ahnung. Schlafen im Flieger geht irgendwie nicht. Meine Taktik, durch massenhaften Traubensaftkonsum gewisse Grundvoraussetzungen für eine schnelle Einschlafphase zu schaffen, darf als gescheitert betrachtet werden. Irgendwann plumpse ich aber dann doch ein so etwas wie ein Halbbewußtsein.

In München landen wir mit 11 Minuten Verspätung. Nicht verwunderlich angesichts der endlosen Zeit vor der amerikanischen Startbahn. Aber die ausgedehnte 25 Minuten lange Umsteigefrist verkürzt sich dadurch noch einmal drastisch. Und wer München kennt… Mit Klapprechner-Tasche und Winterjacke husche ich durch den gesamten Flughafen - vom einen an das andere Ende. Zwei Minuten vor Start stehe ich am richtigen Schalter, als die Dame mir eröffnet: „ Der Flieger ist schon weg, Sie sind bereits umgebucht.“ Toller Service, hätte man mir auch beim Aussteigen aus dem Flieger mitteilen können. Schweißgebadet trotte ich in die Business-Lounge, erfahre dort, dass ich über zwei Stunden warten darf und inspiziere das Speisenangebot. Im Gegensatz zum Frankfurter Gegenstück kann man sich keinen „Heißen Hund“ selber machen. Man bekommt ihn aber auch nicht fertig gereicht. Vielmehr steht dort ein Topf Kartoffelkokossuppe. Wie bitte? Oje.

Wenigstens kommt jetzt mein Gepäck mit. Die letzten Kilometer gehören der geliebten A2. Während das Abfahrtsschild Peine-Ost an mir vorbeirauscht, entrichte ich den versprochenen Heimatgruß. 15.40 Uhr komme ich schließlich zu Hause an. Tja, und das war´s.