» Das Lurch-Tagebuch II - 1. Woche
Sonntag, 16. Januar 2011. Fast 10 Jahre sind seit der letzten ehrwürdigen
Dienstreise ans andere Ende der Welt vergangen. Dieses Mal geht’s ans andere
„andere Ende“ der Welt: Statt fünf Wochen Japan stehen nunmehr zwei
Wochen Vereinigte Staaten auf dem Programm. 7.20 Uhr, Frühstück
gibt es bei Stefanie sonntags ja nicht, klingelt es auch schon überpünktlich
an der Residenz: Fahrservice. Sehr nett, komme runter. Die Tür wird
mir geöffnet und surrend fahren wir in Richtung Autobahn. Die Auffahrt
erlebe ich allerdings nicht - ich wache erst wieder auf dem Flughafen-Zubringer
auf. Wir bauen Autos!
Geschäftliche Reisen haben geschäftliche Klasse - angenehm.
Eine Stunde vor der Landung auf dem neuen Kontinent gibt es noch etwas
zu essen - frei nach dem Motto: Bürger essen Burger (dass ich dieses
Phrasenschwein-Wortspiel schon am Sonntag benutzen kann...). Er schmeckt
zwar nicht, aber das Verdauungssystem dürfte bis zum nächsten
Morgen beschäftigt sein. Nach über 1 Stunde nervigen Wartens
vor der Einreisekontrolle muss ich mir noch folgende Bemerkung des Herrn
Kontrolleurs beim Anblick meines Reisepassfotos, das auch Perso und Hockey-Pass
schmückt, gefallen lassen: „Hair“. Jaja.
Endlich in einer Taxe Richtung Hotel sitzend klingelt mein Handy. A-ha,
ein interner Anruf: „Hallo Axel, wo bist Du denn? Also wir sitzen schon
an der Bar.“ Hm, Vorsprung durch Technik. „Ich bin gleich da, sitze schon
im Taxi.“ - „Wieso Taxi? Es gibt doch einen kostenlosen Hotel-Shuttle!“
- ...
Endlich an der Bar, lasse ich mir die diversen Zapfhähne erklären.
Nein, dieses Bock solle man nicht nehmen. Vorsprung durch Technik, diesmal
zu seinem Nachteil. Also gut, dann ein Bud bitte. Was macht der Typ? Zapft
´n Bock. Ich hab schon keinen mehr, insbesondere, als ich unvoreingenommen
einen kräftigen Schluck nehme. Schmeckt künstlich. Mein Kollege
meint, „wie Haarwuchsmittel“. Har har.
Am Ende des Tages noch schnell in der Lobby an den Hotelrechnern die
Hockeyergebnisse aufgerufen: Dritte Herren zweimal gewonnen (na endlich!),
1. Herren gewonnen, DHC unentschieden (holla) - tiefe Zufriedenheit stellt
ein. Das Bett im Zimmer besteht aus einer Unmenge an Matratzen, man blickt
auf einen riesigen Philips-LCD, das Hotel wirbt mit Filmen ohne Titel auf
der Rechnung, und ein extrem bequemer Arbeitssessel lädt zum Arbeiten
ein. Aber nicht mehr heute, gute Nacht.
Montag, 17. Januar, 3:07 Uhr. Hallo wach. Verdammte
Zeitumstellung. Zwei Stunden später: Hallo wach. Also Radiowecker
mit dem besten Pop/Rock der 80er und 90er eingeschaltet, Morgenwäsche
und runter zum Registrieren und Frühstücken. Die Bagel sind von
beklagenswerter Qualität, Ei, Speck oder ähnliches gibt es nicht,
aber wenigstens der Tee kommt aus einem ansehnlichen bauchförmigen
Becher. Im Konferenzsaal herrschen arktische Temperaturen, die Leute sitzen
nach ein paar Minuten in Jacken rum. Überhaupt die Kleidung: Von wegen
Kombination oder Anzug - die laufen in Turnschuhen, Jeans und bunten Polo-Shirts
rum, teilweise sogar in bedruckten T-Shirts. So würde ich nicht einmal
normal zur Arbeit erscheinen. Amerikanische Kultur.
Draußen fahren zwei Autos ineinander. Gewollt.
Mit Wiederholung. Das gefällt mir, denn draußen ist es wärmer
als drinnen. Im Laufe des Tages zeigt sich, dass ein Stromstudium doch
zu etwas gut sein kann. Wenn man die 15-minütigen Ausführungen
eines Experten über die Bestromung eines Steuergerätes mittels
Spannungseinspeisung an einer Sicherung auf einer Klemme-30-Leitung innerhalb
von 10 Sekunden in einen Satz zusammenfassen kann, stellt sich doch ein
gewisses Maß an Zufriedenheit ein.
Abends geht es in ein cooles
Steakhaus mit eindrucksvollen Gemälden an den Wänden. Die
Preise sind auch eindrucksvoll. Ähnlich wie die Taxifahrt (30 $).
Das Filet schmeckt hervorragend, ein Zulieferer bezahlt, und die Rückfahrt
erfolgt mit sechs (in Zahlen: 6) Personen in einem Fünfsitzer von
zwei Sheriffs aus Florida.
Dienstag, 18. Januar. Nach der Dusche ist erstmal Zeitung lesen angesagt.
Mittels eines 256 MB mächtigen USB-Sticks meines Arbeitgebers habe
ich mir die e-paper-Ausgaben von Braunschweiger Zeitung mit großem
BTHC-Spielbericht und WELT KOMPAKT am Vortag von den Hotelrechnern aus
dem Internet gesaugt. Dazu gibt es schwarzen Tee aus einer Kaffepad-Maschine
und Schlagerbarde Peter Maffay aus dem Handy, der allerdings nach 15 Minuten
durch 80er Maxi-Versionen ersetzt wird. Nervig ist, dass Nokia nicht nach
Dateinamen sortiert und abspielt sondern nach Interpret. Oder ich krieg's
nicht richtig hin. Trotzdem die Preisfrage: Wie schließt man zwei
Passivboxen mit 3,5 mm Mono-Klinke an eine Stereo-Klinkenbuchse (3,5 mm)
an? Die Auflösung:
Nach der arktischen Kälte vom Vortag herrscht heute drückende
Hitze im Konferenzsaal - digitales Klimaverhalten. Bunte Polos und T-Shirts
bestimmen das Bild. Furchtbar. Dafür gibt es heute für die getoasteten
Bagels Brombeermarmelade. Mampf. Wie am Vortag wird das schmissige „Good
morning everybody“ von mir mit einem deutlich wahrnehmbaren „Moin“ returniert,
was dem Horch-Kollegen zu einem Schmunzler verleitet.
Halb zehn in Houston: Die Klimaveränderung ist abgewendet - es
wird wieder schockgefrostet.
Kaffeepause: Diesmal gibt es Popcorn, Erdnüsse in Tüten und
Schokoriegel. Die Amis stürzen sich auf Nüsse und Popkorn wie
Deutsche auf Grabbeltische im Winterschlussverkauf. Merke: Raider ist Twix,
und Mars heißt hier Milky Way. Gulp.
Abends gibt es bei einer kleinen aber feinen „Meet & Greet“-Veranstaltung
(„triff und grüß“) Budweiser in Flaschen. Lecker. Anschließend
in der Hotelbar bestelle ich laut und deutlich „Bud“. Und bekomme auch
Bud. Die gezapfte Hotelbarversion sieht aus wie abgestandener Apfelsaft
(Schaumansatz = null) und schmeckt wie --- lassen wir das.
Mittwoch, 19. Januar. Diesmal werde ich erst gegen
4 Uhr wach. Gut, dass ich meine Schlappen mitgenommen habe - Bequemlichkeit
hat einen Namen. Da das Handy aufgeladen werden muss, kommt die Musik zur
Teeschlürfenden Zeitungslektüre diesmal aus der 22 GB großen
Musiksammlung des Klapprechners. Helene Fischer will wieder dieses Fieber
spüren. Ach Schlager-Gazellchen...
Die Hotellobby-Tastaturen bringen mich regelmäßig
zur Verzweiflung: Nicht nur, dass die Amis den Unterschied zwischen y
und z nicht begriffen haben, das @ liegt über der 2,
und die Interpunktionszeichen müssen beim Eintippen immer wieder korrigiert
werden, weil sie nicht da liegen, wo sie hingehören (2. statt 1. Buchstabenreihe).
Der Nachmittag: Die Konferenz ist beendet, die
Sonne scheint, der Pool ist fast menschenleer - eigentlich eine herrliche
Gelegenheit, die erste Halbwoche „zu Papier“ zu bringen. Das Hotel liegt
allerdings, wie die Nähe zum Flughafen vermuten lässt, mitten
in der Einflugschneise. Im Minutentakt donnern die Metallvögel über
das Hoteldach hinweg. Die Straße, an der das Hotel liegt, ist sechsspurig.
Ruhe wird auch vollkommen überbewertet.
Donnerstag, 20. Januar. Ein Brief liegt im Zimmerflur. Es ist die Rechung.
A-ha, im Gegensatz zu meinen bayerischen Kollegen habe ich den Veranstaltungsrabatt
bekommen. Später an der Lobby wird sich herausstellen, dass ich nichts
weiter unterschreiben muss - meine Kreditkarte wird jetzt einfach so belastet.
Finde ich ebenso. Aber gut.
Der Flughafenshuttle des Hotels setzt sich in Bewegung, einer der Mitfahrenden
sagt zum Fahrer noch „Terminal B“. Ich denke an den schnuckeligen Hannoveraner
Flughafen, an ein offensichtlich fußlahmes amerikanisches Volk und
schaue, sicherheitshalber, in meinen Unterlagen noch einmal nach, wo ich
hin muss. Terminal C, soso. Ich beschließe, ebenfalls fußfaul
zu sein. Puh, welch Eingebung: Rund fünf Minuten fahren wir mit nicht
niedriger Geschwindigkeit durch das Flughafen-Gelände. Alles richtig
gemacht.
Beim Einchecken möchte man mir 50 US$ Gepäckstrafe aufbrummen
- zu schwer sei mein grünes Köfferchen. Ich erkläre, dass
die Lufthansa 32 kg erlaube. Ob ich denn nach Deutschland zurückfliegen
würde. Nö, erst in einer Woche. Hm, der Mann verschwindet, kommt
nach Minuten wieder und akzeptiert meine Haltung. Danke. Also ab durch
die Kontrollen, die Business-Lounge suchen und finden. Leider werde ich
gleich wieder heraus geworfen. Ja, wenn es ein Interkontinentalflug wäre,
ja dann - aber so, ohne Karte… schade.
Abends, nach erster Inspektion der Wohnung, lädt mich mein Mitbewohner
zu einer Fahrt in einen Supermarkt ein. Gute Idee. 5 l Wasser, „Brot“,
Margarine, Salami, Philadelphia, Marmelade, Joghurt und Kekse - alles in
übersichtlichen Verpackungs-Einheiten. An der Kasse folgt dann das
böse Erwachen: über 30 Dollar. Na hoppla, wir gönnen uns
aber was! Wie geht das denn? Erst am nächsten Tag werde ich vom amerikanischen
Kollegen zu hören bekommen: „Ihr ward wo? Ouh, die sind teuer, da
solltest Du nicht kaufen.“ Danke für diese Bestätigung, ich werd´s
beherzigen.
Freitag, 21. Januar. Nach Feierabend probiere
ich die digitale Infrastruktur aus. Denn trotz der über 500 Fernseh-Kanäle
gibt es zwar Deutsche Welle TV, aber nur verschlüsselt. Also Klapprechner
auspacken und umsehen. Zunächst einmal finde ich in einer Rumpelkammer
einen uralten Panasonic Radio-Plattenspieler mit zwei riesigen externen
Boxen. Das Gerät verfügt über einen „Tape In“-Eingang. Na
denn,… - wenig später ist der Klapprechner-Kopfhörerausgang mit
dem Panasonic-Relikt verbunden. Funktioniert! Welch ein Hörgenuss.
Etwas anderes funktioniert nicht, nämlich dem Klapprechner zu sagen,
er soll sich in das WLAN-Netz einklinken. Zwar liegen Benutzername und
Passwort dankenswerterweise auf dem Schreibtisch, aber Windows möchte
einen Netzwerkschlüssel haben. Herrjeh, und nun? Nachdem ich alle
Möglichkeiten mehrfach erfolglos ausprobiert habe, bleibt nur Plan
B: Wired LAN. Gut, dass mir mein Patenkind-Papa ca. 7 m Netzwerkkabel mitgegeben
hat. Vorfreuen, ausrollen… und blöd aus der Wäsche gucken. Es
fehlen zwei Meter. Hätte ich Trottel doch das längere Kabel mitgenommen.
Zwei Meter, ha, die müssen doch zu holen sein! Rund zwanzig Minuten
verbringe ich unter, neben und hinter dem Schreibtisch, um das heillose
Kabelchaos zu entwirren. Danach liefern Modem und Router, schön sauber
über den Flur verteilt, die nötigen Dezimeter für Internetempfang
im Schlafzimmer. Geht doch! Der Schlagerstream von Hitradio-Antenne fließt.
Glückseligkeit.
Als Belohnung gönne ich mir die im Vorfeld
groß angekündigte ARD-Reportage über einen linken Politiker.
Ich bin erstaunt, das Werk in der ARD-Mediathek zu finden - hatte ich doch
damit gerechnet, dass der Herr mit einstweiligen Verfügungen das nachträgliche
Anschauen verhindert. Die Qualität ist allerdings grauenhaft: Ton
in AM-Qualität, und das Bild ist noch schlimmer. Erst als ich „Die
Anwälte“ als Krönung des Abends anklicke, stelle ich fest, dass
die ARD mir automatisch „Modem-Qualität“ bereitgestellt hat. Hallo?
Modem? Wo sind wir denn? Flux auf „DSL“ geklickt, und schon läuft
die Folge der bei Kritikern im Gegensatz zum Publikum viel beachteten Serie
in annehmbarer Qualität. Jetzt ein frisches Bud… Stattdessen immerhin
ein Anruf aus Braunschweig. Hallo. Und gute Nacht.
Samstag, 22. Januar. Nach immer noch teurem Einkaufen höre ich
mir die Bundesliga-Konferenz der 1. Halbzeit via Webradio an. Merke: Am
anderen Ende der Welt gehen Türschlösser und Wasserhähne
andersrum auf. Zum Öffnen einer Tür muss der Schlüssel entgegen
der Richtung zum Türschloss gedreht werden. Ich hab den Dreh immer
noch nicht raus.
Da die Sonne immer noch scheint, raffe ich mich zu einem rund 1½-stündigen
Fußmarsch entlang des Hudson River auf. Herrliche Aussicht, untergehende
Sonne, sich spiegelnde Skyline („Himmelslinie“) schon schön. Aber
es wird bitter kalt. Ab nach Hause, tv total-Clips und heute. Heute
aber ohne Bundesliga. Von wegen, mit dem Zweiten sieht man besser. Da das
ZDF keine Internet-Verwertungsrechte hat, werden einfach die Spiele aus
der Mediathek-Version der 19-Uhr-Ausgabe herausgeschnipselt. Danke. Dann
eben kein Fußball. Stattdessen „Die Fälscher“. Vorabendfüllender
Spielfilm, das Licht geht recht früh aus - im Rhythmus bleiben lautet
die Devise.
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