» Ein Lurch in Japan - 4. Woche
Samstag, 7. 12., doppelter Gazellengeburtstag
und Tag der Wahrheit. Ich fahre alleine, ohne Japaner, zu Yokohama Station.
Ein bißchen unterirdisch shoppen, im Bildband von Oliver Kahn rumblättern,
sich gedanklich darüber auslassen, dass man hier einfach keine internationalen
Zeitungen oder Zeitschriften findet und Banksuche starten. Die Suche hört
nach 5 Minuten auf, weil ich einfach die ganzen Schilder nicht lesen kann.
Ein Mastercard-Zeichen, o-ha. Nur was zum Henker bedeuten der Pfeil und
die Inschrift? Asiatische Massage mit Würgegriff - kommen Sie in
den 8. Stock, wir akzeptieren auch Kreditkarte? Ich gehe zurück in
den Shopping-Center, stelle fest, dass es hier keinen Jägermeister
für umgerechnet 17 € gibt und komme einer Ecke näher, in
der Automaten stehen. Multi-Cash-Corner. Aber hallo. EC-Karte rein und
zack!, kommt das Bargeld für den Massagesalon aus dem Schlitz. Ich
verlasse triumphierend durch eine Tür in der Ecke das Gebäude
und finde mich in einer der Nebenstraßen direkt am Hauptbahnhof wieder.
So, ihr komischen Japaner, die ihr japanisch reden und lesen könnt:
Warum schafft ihr das nicht? Meine Güte, noch 14 Tage.
Sonntag,
8.12., ein Feldhockeyspiel im japanischen Fernsehen. Leider nicht das Damen-WM-Finale
aus Perth, aber immerhin. Endstand 2:1, hoffentlich will keiner wissen,
wer gegen wen gespielt hat - die Sache mit den japanischen Einblendungen.
Mankells Hunde von Riga sind durchgelesen, der Schweinehund vom Lurch wird
immer kleiner, also gut, joggen auf dem Deich. Schweißgebadete Rückkehr
und die Erkenntnis, dass 4 Wochen ohne Sport vom Arbeitgeber mit einer
Gesundheitszulage bedacht werden müßten. Wenn das der Captain
liest, ist für den Rest der Saison sogar der Bankplatz gefährdet.
Ich
habe sie mit, die PDF-Datei-Ausgabe vom Dieter "ich-sach-mal" Bohlen Bestseller.
Und weil mir nichts besseres einfällt, fange ich einfach an. Boh,
ist das schlecht! Wie Feldschlößchen: geht irgendwie runter,
aber am nächsten Morgen hat man einen riesigen Schädel. Ist hoffentlich
bald vorbei, 13 Tage.
Montag früh, 9.12.,
ein Telefonat nach Europa am Morgen vertreibt … jaja, war schon mal
da. Diesmal ist es allerdings anders. Die Uhr liegt wie immer daneben,
aber das Gespräch läuft einfach. Als der Hörer auf der Gabel
liegt, sind fast 12 Minuten vergangen. Später in der Firma wird gerechnet,
20 ¥ für 6 Sekunden, ich komme auf rund 20 €. Das war´s
wert. Der Weg in die Firma war auch was wert: Schnee in Yokohama seit über
60 Jahren. Mir doch egal, unwirsch stapfe ich in meinen undichten Sommerslippern
durch den Schneematsch und lade die nächste Erkältung rein formal
schon einmal in mein Hotelzimmer ein. Gedanken an die Konversation mit
unserem japanischen Berater werden wach. Wie ist das Wetter dort in Japan
jetzt? - Och, warm. - Wie warm? - So 10 bis 15 Grad. - Regen? - Nee,
nicht um diese Jahreszeit. Danke.
Dabei hatte der Tag so nett
angefangen. Ich hatte am Sonntag im Supermarkt eine Zehnerpackung Lipton-Tee
gefunden. Da mein hochwertiges Hotelrestaurant nur Kaffe als Heißgetränk
anbietet, koche ich mir in meinem Zimmer ab jetzt selbst ein warmes europäisches
Kräuterwasser. Hm, 10 Beutel, aber noch 12 Tage, dumm gelaufen.
Dienstag,
10.12., viertel nach 5, ich kann nicht mehr schlafen. Also Glotze an und
hoppla. Eine heute-Sendung, die mal nicht nach 15 Minuten gekappt wird.
Aber das wird für mich die Ausnahme bleiben. Sind ja auch nur noch
10 Tage.
Ich
sitze vor meiner DECT-Phone-Simulation und soll ihr beibringen, dass ein
Anruf eingeht. Nach Aussage eines Kollegen in Hamburg wird in dem Moment
auf dem Display die Telefonnummer des Anrufers angezeigt. Ich glaube es,
nicht nur, weil er selber eins hat, ich kann es hier auch nicht ausprobieren.
Die haben hier nur Handys und Schnurlos-Telefone, die dazugehörigen
Basisstationen sind wahrscheinlich in einem Extra-Gebäude untergebracht.
Na gut, eine Nummer soll angezeigt werden. Nur welche? Nach kurzer Überlegung
hämmern die Finger wie von selbst auf die Tastatur ein: 44 17 77.
Markus, guten Abend.
Mittwoch, 11.12., nur noch
9 Tage, es wird einziffrig. Wird auch Zeit. Irgendwann anzufangen in Stunden
zu rechnen, dürfte sich allein aufgrund der 13- bis 14-stündigen
Flugzeit nicht lohnen. Trotzdem macht sich ein erstes frohlockendes Gefühl
im Körper breit. Weihnachten kann kommen, schöne Aussichten.
Die Aussicht von meinem Arbeitsplatz aus ist dagegen eintönig. So
wie die Temperatur in diesem klimatisierten Großraumbüro: exakt
26.5 ° C, Tag für Tag.
Du da, im Radiooo - wer kennt
ihn nicht, den Schlager von Rolf Zuckowsky und dem kleinen Lümmel
Julian aus den 80er Jahren. Mein Radio im Hotel ist ein Witz. 4 Knöppe,
1 Drehregler, das alles im Bett eingebaut. Von links nach rechts: instrumentale
Dudelmusik von Mercie Chérie bis Sound of Silence, meistens aber
der Marke eine-CD-Box-mit-den-850-schönsten-Aufnahmen-die-keiner-kennt-und-hören-will-Musik,
klassisches Geplänkel und einen Tokyo-Pop-Sender, bei dem so viel
japanisch gelabert wird, dass man am liebsten auf den 4. Knopf haut - den
Aus-Schalter.
Donnerstag,
12.12., mein Schlitzi führt mich abends zum Dinner ins McDonalds-Restaurant,
es gäbe was neues. Na, da bin ich ja mal gespannt. Es ist ein Gratin-Croque-Burger.
Kein Fisch, keine Banane, keine Nüsse, schmeckt ganz gut, aber was
drin ist: ich kann es nicht beschreiben. Anschließend Zapping mit
Schmunzeleffekt, denn auf einem der japanischen Kanäle läuft
die Nippon-Version von "Wer wird Millionär". Ziemlich einfach bei
¥, aber egal. Wenn der Kandidat überlegt und sich entschieden
hat, fragt der Moderator "Feinalll Änser?" - Und der Kandidat antwortet
"Feinalll Änser." Hai! Dann lieber die Bohlen-Weltliteratur zu Dosenbier
und lecker-schmelziger weißer Schokolade. Gib acht, es sind nur noch
ebensolche Tage.
Freitag der 13. - supi. Um
Punkt 15 Uhr geht sie wie jeden vermaledeiten Tag (Hui Buh, das Schloßgespenst
mit seiner rrrrostigen Rrrrasselkette läßt grüßen)
los: die kleine Pausenmusik. Immer das gleiche Musikgeklimper, zu dem ein
Typ auf japanesisch rhythmisch wahrscheinlich kleine Stretchingübungen
befiehlt. Ich weiß ja nicht, was er da sagt, aber es klingt wie "…und
links…und rechts…" …und nichts wie raus. Doch wer glaubt, im Treppenhaus
wäre man sicher: Pustekuchen, auch dort sind Lautsprecher. Fluchtartig
verlasse ich das Gebäude und komme vom Regen in die Traufe. Denn auf
dem gesamten Fabrikgelände (hier arbeiten über 1000 Leute) sind
Außenlautsprecher angebracht. Hilfe. Ich stelle mir dieses Szenario
in Deutschland vor. Das geht doch gar nicht. Obwohl, wenn jeden Tag zu
einer bestimmten Tageszeit von überall her kleine Ausschnitte von
Dieter Thomas Hecks alten Sendungen…
7 (in Worten: sieben).
Über SIEBEN Brücken mußt du gehn,
SIEBEN dunkle Jahre überstehn,
SIEBEN mal wirst du die Asche sein,
aber einmal auch der helle Schein.
Karat, später auch Peter Maffay
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