» Ein Lurch in Japan - 2. Woche
Samstag / Sonntag, 23./24.11.:
Es tropft vom Himmel, es tropft aus der Nase, es tropft aus der Bierdose
im Hotelzimmer. Gut, dass es kurz vor Abflug in Deutschland den neuesten
Roman von John Grisham bereits gab - "die Bruderschaft". Ansonsten gibt
es direkt um die Ecke McDonalds. Die sprechen nicht englisch, aber mit
Händen und Füßen geht´s. Und haben hier beim Schotten
auch Hot Dogs. Aber nach dem ersten kann ich nur sagen: Hände und
Füße davon lassen. Aber interessant: der Bacon Lettuce Burger.
Ganz simpel gemacht: Fleischpad, kleiner Bacon-Streifen, grünes Salatgeschnipsel
und eine scharfe Remouladensoße, lecker. Aber nach drei Tagen reicht
es.
Gut, dass ich in meinem Medikamentenkoffer
auch ein Nasenspray dabei habe. Denn ob ich hier zum einen eine Apotheke
gefunden und die dann auch was von ratiopharm gehabt hätte……Zweifel
sind angebracht.
BS1 bringt mich zur Verzweiflung:
Sonntag früh statt heute die tagesschau, das macht ja nichts. Aber
heute wurde immer nach 15 Minuten gekappt, mir schwahnt Übles. Und
genau so kommt es: Die Samstag-Abend-Ausgabe ist bekanntlich wegen der
Bundesliga-Berichterstattung immer länger. Heute sitzt Beckmann im
Studio rum. Der Bayern-Bericht kommt noch……und zack!, Abspann, 15 Minuten
sind rum. Na gut, erfahre ich eben nicht, wie alle anderen gespielt haben.
Montag,
25.11., die entscheidenen Einstellungen in Netscape sind vorgenommen (Proxies
mußten angepaßt werden) - ich bin drin! Also als erstes beim
Hamburger Hockey-Verband reingeschaut, die dritten Flottbeker Männer
haben zumindest vor 2 Wochen gewonnen, gut so. Sensationell das Ergebnis
der Braunschweiger Herren in der Hallenhockey-Bundesliga aus der Braunschweiger
Online-Zeitung: ein Sieg und ein Unentschieden gegen Hamburger Teams, yo!
Wie
vertreibt man sich den Abend? Zapping, natürlich. Hoppla, was ist
das? Ich stoße bei BS2 auf etwas deutsches. Wenn das nicht Corinna
Harfouch ist. Nein, sie spielt nicht solo auf der Klarinette von Götz
George sondern in einem modernen Märchen von Erich Kästner: Zwillinge,
die sich aufgrund ihrer getrennt lebenden Eltern zum ersten mal zufällig
im Urlaub im Alter von ca. 10 Jahren sehen, weil jedes Elternteil eins
großgezogen hatte, eins in Hamburg und eins in Berlin. Alles auf
deutsch. Lief irgendwann mal als Fernsehfilm oder -spiel im ZDF, nun auf
deutsch im japanischen Fernsehen. Ich bin begeistert. Jetzt muss ich nur
noch lernen, japanische Fernsehzeitungen zu lesen, damit ich nicht nur
die letzten 40 Minuten mitbekomme.
Dienstag, 26.11., die Hälfte
meiner 500 € sind verbraucht, ups. Mittags ist die Abschlußaufgabe
des Seminars von letzter Woche beendet, ich bin ja richtig gut. Naja, ein
geborener Programmierer eben. Ich fange an zu zählen - noch 25 Tage
bis Rückflug.
Wie fängt eigentlich
so ein Tag an? Mit Frühstück, klar. Immer erst eine Suppe und
eine Schüssel gemischter Salat. Der bleibt bei mir grundsätzlich
stehen, gehört bei denen aber zum American Breakfast. Wenn die schlau
sind, konservieren sie das Ding farblich und setzen mir ein und dasselbe
Teil jeden Morgen aufs neue vor. Vielleicht sollte ich demonstrativ mal
davon probieren, einfach nur, um die zu ärgern. Dann kommt auf einem
Wagenradteller ein bißchen Rührei mit einem Tropfen Ketchup,
ein 2 cm breiter und vielleicht 12 cm langer Schinkenstreifen und 3 Brocken
kalte Kartoffel, die zusammengenommen nicht einmal eine ganze bilden. Als
drittes kommt dann ein 3 cm dickes Weißbrotdreieck und ein Labberbrötchen.
Bei der Marmeladensorte kann man wählen zwischen Erdbeer und Orange.
Orange, klasse, fehlt als Nachtisch nur noch Bananenmus auf Fischrand mit
Nuss-Krokant-Streusseln - mein Leibgericht.
Mittwoch,
27.11., man will mir das Frühstück verweigern, ich hätte
gestern nicht vorbestellt. Wie heißt der Film mit Michael Douglas? Ach ja, Falling Down...
Irgendwie
sehne ich mich nach einem geschmeidigen Frühstück in der Lurchwohnung:
schön getoastetes 9 mm dickes Sechskornbrot von "Dat Backhus", Rama
und Quitten-, Heidelbeer- oder Himbeermarmelade, dazu wohl-temperierter
aromatisierter schwarzer Tee aus der Teemaaschine (ja ja), und aus den
Boxen ertönt Radio 21, der erfolgreichste Rocksender Deutschlands
mit Kuhnt´s Morgenrock (dieses Wortspiel ist immer wieder klasse);
ach ja, und auf dem Tisch liegt das Abendblatt. Noch 24 Tage.
Donnerstag, 27.11., ich breche
die letzte Packung ALDI-Schoko-Milch-Riegel an - verdammt. Schnell eine
Mail Richtung Hannover zum Bruderherz aufgesetzt und um Nachschub gefleht.
In meiner Verzweiflung finde ich in einem der 24-Stunden-Auch-Am-Wochenende-Offen-Supermärkte
eine klitzekleine Genugtuung: einen Crispy Caramel Sandwich von Häagen-Dazs.
Trotzdem stellt sich die Frage, wie lange wohl ein Paket aus Deutschland
braucht.
Foto: Blick von der Fußgängerbrücke
hinter der Autobrücke mit einem Deich voller Japaner
Als sich gegen Abend die
Sehnsucht nach Döner und Currywurst in gigantische Dimensionen potenziert,
schlägt mein Japaner Kentucky Schreit F… vor. Vorsichtig übertrete
ich die Türschwelle und bin relativ zufrieden. Der angeblich tierisch
scharfe Burger hält sich Grenzen, aber der Twister haut´s raus,
eine Teigrolle mit Huhn-, Tomaten- und Salatstückchen sowie einer
zweifellos sehr guten Soße. Angekommen im Hotel höre ich im
6-Sekunden-Zeittakt zu 20 Yen (macht für 5 Minuten einen schlappen
Betrag von 8,50 €) zu Hause meinen Anrufbeantworter ab - eine Gazelleneinladung
zum Geburtstag Anfang Dezember ist drauf. Prima, jetzt wird dieser Trip
auch noch persönlich. Noch 23 Tage.
Zapping, BS2, ui: das legendäre
Simon & Garfunkel Park-Konzert von 1981. Ein Meilenstein der Musikgeschichte
mit japanischen Untertiteln, den ich nun endlich einmal in voller Länge
zu sehen bekomme. Sie singen ohne Werbeunterbrechungen fast 1½ oder mehr
Stunden von Brücken über unruhigen Gewässern, von Boxern
und dem Sound der Stille. Schön. Da macht es auch wenig, dass zwischendurch
ungefähr sieben Minuten lang der Schlaf die Oberhand behält.
Freitag,
28.11., heute mal wieder tagesschau. Aufgrund des Krankenkassenlochs müssen
wir den Gürtel enger schnallen. Die sind lustig, ich muss meinen Gürtel
in der letzten Zeit immer weiter schnallen, weil sich nämlich ein
kleiner Lurchbauch seinen Weg bahnt. Das Wochenende banht sich auch seinen
Weg. Aber wie die ganze Woche schon kennt mein Japaner kein Erbarmen. Während
sich bei mir bereits um halb fünf eine Wochenendstimmung breit macht,
denkt der gar nicht dran. Um fünf ist für ihn die Welt noch in
Ordnung, um sechs geht meine Konzentration gen null, um sieben fühlt
er sich trotz durchbohrender Blicke absolut unbeobachtet und erklärt
mir um viertel vor acht, dass er noch eine Stunde brauche, ich aber ins
Hotel gehen könne, wann ich wolle. Ich sehe diese komischen Comic-Zeichen
mit Raute, Sternchen und Totenkopf vor mir rumtanzen.
Im
Hotel endlich angekommen geht der Griff zur Fernbedienung, und was läuft
bei BS2? BON JOVI rockt das Haus! You were born to be my baby and baby
I was made to be your man. I´m a cowboy…wanted dead or alive. Es
ist der Konzertausschnitt, der Anfang November im ZDF nachts nach der Wetten
dass..?-Sendung lief. Nur etwas ist anders: Irgendjemand mußte ein
bißchen digitale Bildnachbearbeitung betreiben: Es dominieren die
Farben rot und blau, jedoch die mitten im Zuschauerraum aufgebaute Bühne
samt Band ist schwarzweiß. Bei Nahaufnahmen flackern farbige Scheinwerferlichter
auf grauer Haut. Irgendwie wirkt das nicht. Da kann man mal wieder nur
sagen: Mit dem Zweiten sieht man besser. Noch 22 Tage.
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