» Ein Lurch in Japan - 1. Woche
Samstag, 16. 11. 2002, 10.30 Uhr, Hamburg Airport, Terminal 4. 2½ Stunden vor Abflug
steht ein kleiner Mitarbeiter mit Koffer, Aktentasche und Rucksack in der
Abflughalle. Naja, wenigstens einmal pünktlich. Zur rechten Hand die
Lufthansa-Schalter, man kennt es ja. Also durch das Labyrinth zum Kofferdurchleuchten.
Nanü, ups, nur First Class und Business, tschuldigung, wieder zurück,
andere Seite. Warten. Dann winkt so ein komischer Typ vom Schalter hektisch
mich herüber. Ich reagiere nicht. Seine Bewegungen werden heftiger.
So steht der Lurch auf einmal vorm Economy-Schalter für alleinreisende
Kinder (eine Frechheit). War das alles? Nein, der Koffer sei zu schwer.
Bin ja auch ein schwerer Junge. Aber nein, viel zu schwer. Naja nun, man
fliegt ja auch nicht alle Tage für 5 Wochen nach Japan. Aber nein,
so geht das nicht, wenn ich Business fliegen würde, wäre das
okay, so aber müsste er mir 6 kg Zusatzgewicht berechnen. Das Wort
mit "A" saust durch das Kleinhirn, bleibt dort aber. Nun gut, Koffer aufgeben
und ab zum Ticket-Center, Gepäckgebühr zahlen. Gebühr???
Von wegen, Gepäckstrafe! 289 Euro will die Lufthansa haben. Das wird
ja immer besser. Wenigstens kriege ich eine Quittung. Es bleibt bei der
Überlegung, denen auch eine Quittung zu geben.
Toll, warten. Einfach warten.
Lektüre: Die Welt, Morgenpost und Bild - eine andere Welt. Eine Ewigkeit
später Boarding. Ab nach München, das kenne ich schon. Beim Aufwachen
will man gerade servieren. Nett, ein Warsteiner bitte. Beim letzten Flug
nach München Ende September (nach der Doktofeier, die Red.)
war das nicht möglich, diesmal geht´s.
So, 11 Stunden Nachtflug
nach Narita, dem Aussenflughafen von Tokyo. Wie soll man denn da schlafen? Nach links drehen - geht nicht. Nach rechts drehen - uaaha!, mein japanischer
Sitznachbar. Also mittig. Und die Füße? Linker Fuß auf
die Vordermannarmlehne, jaaa. Leider ist der japanische Vordermann recht
nervös, so dass der Treter immer wieder von dessen Ellenbogen heruntergekickt
wird. Also doch Filmgucken: Franka Potente im Mini mit ´nem Typen
nach Paris (gemeint ist die Automarke). Zwischendurch immer neue Versuche
einzuschlafen. Der Japaner hinter mir hat während des gesamten Fluges
seine Leselampe eingeschaltet, die mir ins Gesicht strahlt. Wenn er wenigstens
auch gelesen hätte...
Sonntag, 11.25 Uhr ( = 3.25 Uhr MEZ), Tokyo. Gute Nacht. Ach nein, mein Japaner
holt mich mit Sohn und dessen Frau ab (die heiraten wirklich früh
hier) und startet eine Foto-Rundreise im Mercedes durch Tokyo. Verzweifelte
Versuche des Körpers, dem durch Einschlafen zu entkommen, enden in
einem lauten "Axel, wake up!".
Als wenn das nicht genug wäre: japanische Fotosession. Axel guck hier,
Axel dreh dich mal um, Axel stell dich mal dahin - och nöö.
Eine Begegnung der anderen Art: Rice Cake. Die ollen Griechen nehmen kleine
Holzstäbchen, um darauf lecker gewürzte Fleischstückchen
zu spiessen und nennen das Souflaki. Die Japaner nehmen statt Fleisch eine
weiße Masse, tunken das in eine sirupartige Flüssigkeit und
nennen es Rice Cake. Es ist zäh, aber nicht klebrig und schmeckt wie
- Rice Cake eben.
Montag, 18.11., auschecken, Hotelwechsel. Gut so, denn wer dachte, das Hotel in Osaka 2001 wäre
der Höhepunkt gewesen (zur Erinnerung: ein Sicherungskasten als Schrank),
sah sich getäuscht. Noch kleiner, kein Sicherungskasten, nur 3 Bügel.
Okay, das Leben aus dem Koffer kann auch sehr angenehm sein. Tisch? Nee,
eher eine kleine Ablagefläche, der Koffer wird auf die Minibar gewuppt,
eine andere Abstellmöglichkeit gibt es nicht.
Seminar, diesmal ohne den
sonst anwesenden deutschen Herren. Dafür mit ganz vielen Japanern
und einem Schweden, der einem die Vorzüge von UML und Tau näherbringen
will - aha. Er spricht englisch, was natürlich für die Anwesenden
jeweils in japanisch übersetzt wird. Irgendwann ist Mittagszeit -
endlich, ein Lurchmagen will gefüllt sein. Doch was ist das? Ein
Holzkasten, Hilfe. Alles voller Fisch, sogar der Reis hat den Gest....äh
Geschmack angenommen, ein winziger Brocken Rührei rundet den Genuss
ab. Gut, dass ich meine Bifi-Sammlung im Koffer habe liegen lassen.
Am Nachmittag geht es wie ein Packesel zur Bahn. Ziel: Yokohama, mit Umsteigen und Latschen. Warum
nicht. Das Hotelzimmer: etwas größerer Flur, nur noch 2 Bügel,
auch kein Sicherungskasten. Nun gut, 2 Stunden frei, also Laptop ausprobieren.
Nanü, AT&T kennt kein Japan? Der Lurch kann mit dem Programm
nicht umgehen, gut, dass Norbert schon im Büro ist. Rückruf,
Einweisung für Blöde, klasse, Japan gibt es doch. Geht trotzdem
nicht. Hm, ISDN? Runter zur Rezeption, Adapter holen. Geht immer noch
nicht, vielleicht doch mit Vorwahl? Aber nein, mitnichten! Irgendwann
komme ich darauf, aus Spaß auf Impulswahl umzustellen, dann noch
die null weglassen und ... hoppla, ich bin drin! Schöne Welt, mit
7.200 bps.
Dienstag,
19.11., Frühstück im American Style (also das Frühstück).
Serviert wird ein Omelett, bei dessen Anblick mir bewußt wird, dass
damit wohl mein Ei-Bedarf für die nächsten 3 Jahre gedeckt sein
dürfte. Aber was soll´s, angesichts meiner Hockeyhistorie dürfte
ich rein rechnerisch bereits im prenatalen Stadium mit der Einnahme von
Gerstensaft begonnen haben. Dazu gibt es Kondomtee. Hier in Japan werden
die Beutel nicht in Papier eingetütet sondern richtig schön wie
ein Kondom sicherheitsverpackt - allerdings ohne Gleitfilm. Sorten: Erdbeer,
Heidelbeer - passend zur Marmelade auf dem Brötchen, mal was anderes.
Ab zur Arbeitsstätte mit drei Buchstaben, einer Abteilung mit vier Buchstaben
... jaja, Abkürzungskönig ist nicht nur der deutsche Arbeitgeber,
die Japaner können das auch ganz gut. Riesiges Großraumbüro
soweit das Auge reicht, kleine Tischchen-Reihen für jeweils 5 Personen
mit Tiefen von 70 cm und 50 cm die Tischhöhe überragende türkisfarbene
Trennwände bestimmen das Bild. Ich bekomme sogar ein Schließfach
für meine Garderobe. Die Frage, wofür ich so etwas bräuchte,
erübrigt sich, als sie wissen wollen, ob ich eine Uniform hätte
(und meinen damit diese gutaussehenden farblosen Jacken). Wenn die wüßten,
dass ich für meinen Hotelaufenthalt meine Trainingshose mit einem
gewaltigen Schwanzluch drauf eingepackt habe...
Ein Emialaccount soll für mich eingerichtet werden. Ein Antrag wird mir
vorgelegt - komplett japanisch. A-ha. Man muss mir jeden Eintrag vorlesen.
Dann kommt´s: 8 Zeichen für die Kennung vor dem "@" darf ich
bestimmen - also los geht´s: L - U - R - C - H, passt genau! Hm,
vielleicht doch nicht. Also ganz brav den "buechner" eingetragen und sich
ausgemalt, wie toll das mit den anderen 5 Buchstaben gewesen wäre.
Feierabend. Der Zimmerfernseher ist größer als der im ersten Hotel. Ausserdem
hat er einen Front-Audio-Eingang. Super, schon kommt Lurchmucke aus dem
MD-Player in die TV-Boxen. Zapping ist angesagt: Viele japanische Programme
bestimmen das Bild. Wenigstens gibt es BBC World. Und sonst? 3 Programme,
von denen 2 mit so merkwürdigen Mosaiksteinchen an einigen Stellen
versehen sind. Das ist so, wie wenn das ZDF in seiner heute-Sendung Champions
League-Ausschnitte zeigt und das RTL-Logo wegmosaiktiert. Nur dass hier
die Steinchen in der Bildmitte dem Betrachter den Blick erschweren. Ein
Kanal mit japanischen Darstellern, einer mit nicht-japanischen Akteuren.
Harrison Ford im 3. Kanal hat keine Mosaiksteinchen. Please pay. Och manno.
Mittwoch, 20.11., bereits
um 7.15 Uhr ist auschecken angesagt, um per Pedes vor Arbeitsbeginn das
Hotel zu wechseln. Pünktlich sitze ich an meinem Schreibtisch, als
alle aufstehen, sich Richtung Fensterseite zum Fluss aufstellen und andächtig
einer Hymne aus den Deckenlautsprechern lauschen, einige singen sogar mit.
Dann hält innerhalb jeder Gruppe einer eine Ansprache (alle gleichzeitig!), und dann erst kann das Arbeiten losgehen. Wie sagte Obelix doch immer?
Mittagspause. Ich würde
sehr gerne das gesamte Gelände aus der Luft betrachten. Wie Ameisen
quillen nämlich ganz viele Japaner in grauen Hosen und farblosen Jacken
aus sämtlichen Ausgängen auf die Gehwege zum Fütterungssaal.
Alle auf einmal. Obelix! ! !
Am späten Nachmittag
ist noch einmal Rundreise angesagt. Dann geht es nämlich zu einer
anderen Klitsche, um einen Deutschen zu treffen. Das Ding liegt genau hinter
dem alten Hotel. Den Fluch auf den am Morgen entgangenen Schlaf unterdrücke
ich höflich. Der Mitarbeiter entpuppt sich als ein (aus meiner Sicht)
älterer Brite, dessen Akzent genauso durchkommt wie der British Style.
So fragt er gleich als erstes, warum wir uns treffen, welche Absicht verfolgt
wird und so weiter. Mit dem beispielsweise am Wochenende gemeinsam Tokyo
anschauen? Nein Danke.
Donnerstag, 21.11, 7.15 Uhr, Channel 9: heute von gestern bilingual. Ich wähle
aus reiner Bequemlichkeit die deutsche Fassung. Eine komplette Hauptnachrichtensendung
aus Deutschland zum Wachwerden. Ich bin extrem dankbar für BS1, diesem
japanischen Kabelkanal, der morgens 2 Stunden lang die Hauptnachrichten
aus aller Herren Länder zeigt. Es werden die von der Sparregierung
beschlossenen Abgaben auf Immobilien erklärt (7,5 %). Gut, dass ich
nicht mit Häusern handeln muss.
Software-Schulung
in Tokyo bei einer Firma mit drei (anderen) Buchstaben, dem japanischen
Software-Distributor. Teilnahme am 5-Tage-Seminar, von dem ich in Deutschland
nur 3 geniessen durfte. Ich setze ein bei Tag 4. Alles japanisch, die PowerPoint-Outhands
auf englisch und mein Translator spricht so gut englisch wie ich japanisch.
Sämtliche Erklärungen zu den Folien bleiben unübersetzt.
Die Effizienz dieser Veranstaltung erschlägt mich.
Abends ist Dinner mit den Seminarleutchen angesagt. Eine geschmeidige Kneipe mit
gutem Bier, leckerem Essen und sehr viel Gesprächsstoff. Das Zeugnis
dieses Abends: ein faszinierendes Blatt Papier.
Freitag, 22.11., 7.15 Uhr.
Kein heute. Das war gestern. Morgen werde ich herausfinden, dass heute
eine Stunde später läuft. Mir hingegen läuft die Nase. Die
Klimaanlagen in den ersten beiden Hotels waren auf Heizen eingestellt,
unter diesen Standardwert kühlen ging nicht. Bei offenem Fenster zu
schlafen war vielleicht nicht gut, aber wenn man nassgeschwitzt sich im
Bett wälzt, wo liegt die Alternative? Beim gestrigen Seminar war
es vormittags a...kalt, tja, nun haben wir den Salat: eine Erkältung
eines mitteleuropäischen Lurchus in Japan. Na Mahlzeit. Als ob das
nicht genug wäre, bekomme ich einen tierischen Hals, weil ich einfach
nicht weiß, wie man bei dieser ### Programmiersprache mit der Umsetzung
einer Aufgabe anfängt. Erinnerungen an das Studium werden wach: "Algorithmen
& Programme". Jedes mal mit Pauken und Trompeten durchgefallen (ging
auch anderen so, gell, Gazelle?), im 2. Versuch nur durch den Hardwareteil
die zweigeteilte Gesamtprüfung bestanden.
20 Uhr, endlich im Hotelzimmer.
Supermarkt & Bier holen, McDonalds & Burger kaufen und am hölzernen
Schreibtisch zu Robbie Williams´ Albert-Hall-Auftritt die Woche versuchen,
herunter zu spülen.
Das war die erste Woche Japan. Vier weitere sollen noch folgen.
Prost Mahlzeit.
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